400 Jahre evangelisch in Mülheim am Rhein 1610-2010. Ein Überblick.

von Dietrich Grütjen

Die Stadt Mülheim am Rhein war vor ihrer Eingemeindung nach Köln im Jahr 1914 über Jahrhunderte besonders für Protestanten ein wichtiger Ort.

»Mülheimer Freiheit«.

Die Hauptstraße des alten Mülheimer Stadtkerns heißt bis heute »Mülheimer Freiheit«.

1322 gewährte Graf Adolf V. von Berg Mülheim jenen besonderen Rechtsstatus einer »Freiheit«. Damit brauchte die Stadt keine Abgaben und Dienste zu leisten und hatte das Recht, einen Schöffen zu stellen. Sie erhielt ein eigenes Gericht und vor allem die Immunität. Niemand durfte Güter und Personenrechte der Mülheimer Bürger antasten. Durch diese Privilegien und die Lage am Rhein außerhalb des Kölner Hoheitsgebietes war Mülheim immer wieder ein Zufluchtsort für Flüchtlinge aus Köln, aus den Niederlanden oder anderen Regionen, wo Menschen vor religiöser Unterdrückung weichen mussten.

Die »Mülheimer Freiheit« wurde so auch in Zeiten der Reformation ein Zufluchtsort für evangelische Christen.

„Heimliche Gemeinden“.

Wie in Köln gab es auch in Mülheim vor 1609 Evangelische, die nur verborgen

ihre neue Konfession leben konnten. In Köln sind um diese Zeit fünf heimliche Gemeinden bekannt: Die hochdeutsch-reformierte, die niederländisch-reformierte, die wallonisch-reformierte Gemeinde und die lutherische, die sich „Kölner Gemeinde Augsburgischer Konfession“ nannte. Hinzu kam noch die reformierte Gemeinde der niederländisch sprechenden Schiffer.

Siegel der Schiffergemeinde

1610 erste öffentliche Gottesdienste.

Ihren ersten öffentlichen Gottesdienst feiert die lutherische Gemeinde in der neu erbauten Kirche an der »Deutzer Pforten«, die reformierte Gemeinde im »Lämchen«, einem Privathaus.

Die Mitglieder der »heimlichen Gemeinden« in Köln versuchen sonntags an den Gottesdiensten in Mülheim teilzunehmen. Der Kölner Rat hatte das bei einer Strafe von 100 Goldgulden verboten. Die Stadttore werden geschlossen, und die Polizei schreitet ein. 1611 werden bei einer Verhaftungsaktion 54 Personen festgenommen.

Die Mülheimer Protestanten freuen sich ihrer Freiheit, Gottesdienst zu halten, eine Schule zu errichten und ihre Toten auf einem eigenen Friedhof (bis heute der ev. Friedhof an der Berg. Gladbacherstrasse) zu beerdigen.

Neue Gefährdung.

Doch die neu gewonnene Glaubensfreiheit währt nicht lange. Schon im Jahr 1614 wird Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm katholisch, und ein Jahr später haben die Bemühungen des Kölner Rates, den Mülheimer Aufstieg zu verhindern, Erfolg. Die neue Befestigungsanlage und die Neubauten Mülheims, darunter mehrere evangelische Kirchen und Schulen, dürfen nach einem Beschluss des Reichsgerichtes mit Hilfe spanischer Soldaten abgerissen werden. Die lutherische Kirche wird, obwohl sie innerhalb der alten Stadtgrenzen liegt, ebenfalls zerstört.

Hinzu kommen bald darauf die Wirren des Dreißigjährigen Krieges. Die lutherische Gemeinde geht darin unter.

Lutherische Kirche 1615

Bildnachweis: Historisches Archiv der Stadt Köln; Ausschnitt aus: Schleifung der neuen Festung in Köln-Mülheim 1615, Rheinisches Bildarchiv Nr. 175223

Die presbyterial-synodale Ordnung.

Die Reformierten dagegen können die Kriegszeit besser überstehen, denn sie haben von Anfang an auf eine straffe Organisation ihrer Kirche und auf eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber den Landesherren geachtet.

Im September 1610 haben sich Prediger und Presbyter (»Älteste«) aus dem Herzogtum Jülich-Cleve-Berg sowie einige aus selbständigen Herrschaften in der freien Reichsstadt

Duisburg versammelt, um aufgrund gemeinsamer Lehre eine »presbyterial-synodale

Ordnung« zu etablieren. Diese dort tagende Generalsynode stellt zugleich den Beginn der reformierten Kirche im Rheinland dar.

Sie bestimmte, »dass eine jede Gemeinde ihr Presbyterium oder Consistorium habe«, »dass die Presbyteria allenacht oder 14 Tagen nach Gelegenheit und Notturft jedes Orts gehalten werden«

Die Bergische Provinzialsynode besteht aus der Elberfelder, Solinger und Düsseldorfer

Kreissynode. 1611 wird noch eine vierte Kreissynode eingerichtet, die Mülheimer, die

außer den Gemeinden Mülheim, Bensberg, Refrath, Gladbach noch die Sieggemeinden

von Mondorf bis Uckerath, Oberkassel und Honnef umfasst. Gegen diese Gemeinden richtet sich in den nächsten Jahren der Stoß der Gegenreformation. Ein Jahrzehnt genügt, um die jungen Gebilde zu zerstören. Nur Oberkassel und Mülheim überstehen diese Zeit. Einerseits wegen der Unterstützung durch die gute Organisation der reformierten Kirche, andererseits dank der Ausdauer und Treue des ersten Mülheimer Predigers Peter Wirtz, der bis zum Ende des 30jährigen Krieges der Gemeinde dient.

Aufblühen der evangelischen Gemeinden in Mülheim.

Durch die Akzeptanz der protestantischen Christen in Jülich-Cleve- Berg beginnt eine Blüte evangelischen Lebens in Mülheim. Schon der Kaufmann Henrich von Aussem verstand es, in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts ein blühendes Handelsunternehmen aufzubauen. Auch durch seine Unterstützung erwachte die lutherische Gemeinde wieder zu neuem Leben. Die lutherische Kirche wurde neu aufgebaut. Die Reformierten errichteten 1668 ein neues „Predigthaus“, das bis zum Bau der Mülheimer Brücke 1927 in der Formesstrasse stand.

Reformiertes Predigthaus