Die Eisflut von 1784

Vor 230 Jahren, am 27. und 28. Februar 1784 ereignete sich die ausser der Bombardierung der Stadt im zweiten Weltkrieg grösste Katastrophe in der Geschichte Mülheims: Die Eisflut, oder wie die Zeitgenossen in vielen Berichten schrieben, die „erschröckliche Eisfahrt“.

Wir bieten Ihnen aus dem Archiv der Gemeinde bisher unveröffentlichte Dokumente zu diesem Ereignis.

Allen voran ein Brief des reformierten Predigers C.A.H. Besserer an die reformierte Gemeinde von Hamburg.

Grab Besserer

Schreiben eines reformirten Predigers zu Mülheim am Rhein

in dato d 19.März 1784

Das erschreckliche Unglück, das die Gemeinden am Rheinstrom, besonders aber dieser Stadt durch Ueberschwemmung getroffen hat ist bekannt. Es ist schlechterdings unmöglich, daß sich einer, der nicht Augenzeuge von dem, was uns begegnet ist, gewesen, sich davon einen Begrif machen kann. Ich will nur etwas davon sagen. Im Anfang des Jahrs setzte sich das Eis des Rheins bey sehr hohem Wasser felsenfest, man hat es an verschiedenen Orten gebohrt, und 14 bis 15 fuß dick befunden. Weil nun das Wasser keinen Abfluß fand, trat es oberhalb Kölln über seine Ufer und strömte gerade auf unsere Ort zu, und fiel durch unsre Gassen wieder in den Rhein. Alle Gassen des niedrigen Theils unseres Orths waren in reißende Ströme verwandelt, welche das Pflaster umpflügten; und unter die Fundamente der Häuser wühlete. Doch ging alles ohne sonderliche Unglücke ab, nur, daß die Häuser verdorben wurden. Unsere hochpreißliche Regierung ließ gleich, nachdem das Wasser wieder abgelaufen war, einen zehn Schuhe hohen Damm, eine Stunde von hier aufwerfen, und nun glaubten wir sicher zu seyn. Es war uns aber das fürchterlichste Unglück bereitet, an welches keiner hätte denken können. Den 26. Febr. Fing das Wasser wieder an, zu wachsen, und die Leute brachten ihre Haabseligkeiten in dene obere Stockwerk, aber des Nachts vom 26.ten bis zum 27.ten wurde das Wasser so hoch, daß denenselben mit Fahrzeugen kaum mehr beyzukommen war. Gegen 9 Uhr ging solches über den neuen Damm, und riß diesen fort, und so kam die ganze Masse von Eis und Wasser gerade auf unsern Ort, riß ganze Straßen fort; und das Eis thürmte sich bis an die Dächer; so weit das Auge nur sehen könnte, war nichts als eine Eistreibende See zu sehen.

Nun trat die fürchterlichste Nacht ein, da der Sturmwind das mit Eis bedeckte Wasser an die Häuser prellte, und solche bald hier bald dort mit schauderen Krachen einstürzten. Der Tag brach an, und nun sahe man die Dächer der Häuser nur noch aus dem Eis und Wasser hervor ragen. Alles flüchtete nun, und was nur mit dem Leben davon kam, auf die höchste Straße (wo ich selbst wohne) von Lebensmittel und Kleidung gänzlich entblößet, und doch waren wir selbst nicht sicher. Gott gab es aber, daß gegen Mittag um 12.Uhr, das feste Eis in der Mitte des Rheins loßbrach, und da fiel das Wasser wieder. Da hätte man bey allem Elende, die Freude der Menschen, die doch nichts als ihr Leben gerettet hatten, auf ihrem Angesicht lesen sollen! Aber erschrecklich war der Anblick, als man in die, selbst hochgelegene Straßen das biß an die Dächer reichende Eis sahe! Da man es erst wagen durfte, über die Eisberge zu klettern, und von oben in die Häuser zu steigen, fand man, das Thüren und Fenster ect.alles weggeschwemmet war, und die Zimmer bis an die Decke mit große Eisschollen angefüllt, als ob es ein Maurer hineingemauert hätte. Wie man über die Eisberge in der Gegend kam, wo die Häuser weggespühlt waren: da war keine Spur eines Hauses oder Straße; sondern so weit das Auge sehen könnte, nichts als ein unermeßliches Eisfeld. Calabriens Zustand konnte nicht trauriger seyn. Außer den zwar ruinierten aber doch noch zu reparierenden Häuseren, sind 100 und etliche 60 ganz weggeschwemmet, mit allem war darinn war, und noch mehrere drohenden Einfall. Man findet nun, bey Wegschaffung des Eises, nichts erhebliches, der Strom hat alles mit fortgerißen. Unsre Kirche ist zwar stehen geblieben, aber die Beschaffenheit derselben ist leicht zu beurtheilen, wenn ich Ihnen nur sage, daß anstat der weggeschwemmten Bibel, Eisschollen auf der Kanzel gelegen haben.

Die „Eisbibel“

Unser zweytes Pastorathaus, in welchen das Wasser zwey Schuh hoch, im zweiten Stockwerk gestanden hat, ist ganz ruinieret.

Unsre deutsche Schule ist mit dem ganzen Vermögen unsers würdigen Schulmeisters, und allen Kleidungen seiner vielen Kost-Schülern, ein Raub der Fluth geworden.

Noch hatte unsre Gemeine 13 andere zum Theil für 5. Jahren erst neuerbauten Massiven Häusern, deren Einkünfte zur Bezahlung der Prediger, und Unterhaltung der Armen verwendet wurden; sie sind aber alle weg. Noch auf andere Häuser hatte die Gemeine Capitalien stehen, und auch diese sind nicht mehr; folglich auch die Capitalien verloren. Zwar, unsere Nachbarn, haben sich unseres Orts , mit vieler Liebe und christlichen Mitleiden angenommen; Sie haben uns Lebensmittel zugesandt, ohne welchen Beystand, so viele Tausende verunglückte Menschen noch vor Hungerhatten verschmachten müssen. Sie haben uns Decken und Kleidungsdtücken zu allen Gattungen Alt und Neu zukommen lassen. Zu Elberfeld und der Gegend sind einigeTausend Rt collectirt, wofür Baraquen gebaut werden; daß der gemeine Mann unter Dach komme, diesen Leute sind beyläufig 1700: und die Kosten darzu erfordern 8000 Rt.

Der „Elberfelder Bau“ (links)